Aber mein Drang in die Ferne, oder wie man dort sagte, in die Fremde, ließ mir nicht Ruhe. Da schrieb mein ehemaliger Fachschulkamerad Eugen Wettengel aus Berlin, ich solle doch hinkommen, sein Meister brauche noch jemanden. Ich überlegte nicht lange, kündigte meine Arbeit und da ich schon geraume Zeit nicht bei meinen Eltern war reiste ich erst mal nach Halle/Saale. Hier erfuhr ich von Wettengel, daß es nicht so eilig gewesen wäre. So blieb ich in Halle bei meinen Eltern und wartete ab.
Endlich klappte es in Berlin. Dies war 1904 gegen Ostern. Die Zeit in Berlin war so wie es eben ein junger Mensch sich wünscht. So habe ich denn auch allerhand gesehen, gehört und erlebt. Die Wirtsleute waren aus Ostpreußen und gab es da oftmals einen guten Happen zu essen, zumal wenn wir abends etwas musizierten. Ich wohnte mit vorgenanntem Wettengel und einem Otto Seeliger aus Schöneck zusammen.
Da ging es oft gemütlich zu. Unser Wirt, von uns Domnik Franz genannt, war auch sein richtiger Name, wenn vom Polizeidienst heimkam, hatte immer interessante Erlebnisse zu erzählen. Sein letztes Wort war immer: „So, dat muß man bejossen werden Kinder, Frau hole mal paar Pullen rein, und ein bißken Musike dazu.“ Dann wußten wir schon was los war. Einmal nahm er uns mit zu einem Nachtbummel durch Berlin. Da lernten wir die Stadt kennen von der niedrigsten bis zur höchsten Stufe im Gesellschaftsleben. Manchmal war es nicht ganz ungefährlich. Aber unser Franz hatte schon vorgebeugt, mit Dienstwaffe und „Jummiknüppel“. Daran beteiligt war außer uns noch sein schwerreicher Schwiegervater, der den ganzen Kram bezahlte. Ich lernte auch die Tochter eines Kriminalinspektors kennen, doch behagte mir die dreiste Art ihres Auftretens nicht und ließ das Ding laufen.
Der Zufall wollte es, daß das Mädchen uns gegenüber wohnte und in unsere Zimmer schauen konnte. Wenn wir lustig waren und musizierten, dann machte sie vor Zorn ihr Fenster zu. Sie wußte genau weshalb ich nichts wissen wollte. So verging dann die Zeit in Berlin und der Himmel hing dort voller Geigen. Ich hatte mir vorgenommen etwas zu sparen, aber es wurde nichts daraus. Ich sah mir alles interessante an, machte Ausflüge in die Umgegend usw.
Als ich und auch Wettengel von Berlin wegmachten, hatte ich gerade so viel Geld bis Halle zu fahren und blieb wieder einige Wochen bei meinen Eltern. Hier wollte mich die Schwester meines Schulfreundes Schulze in ihre Garne locken. Sie war ein kohlschwarzer Rabe, dunkle Augen, ein richtiger Südländer-Typ. Aber die hübsche Agnes hatte sich auch verrechnet. Ihre Eltern gaben es mir mal zu verstehen. Nun, warum sollte ich mich binden, da ich noch gar nicht wußte wohin.
Ich entschloß mich wieder nach Markneukirchen zurückzukehren. Es war im Spätherbst 1904. Arbeit bekam ich wieder sofort bei Herrn Willi Heberlein, in der Schützenstraße.